Artikel aus VDV – Das Magazin 1/19
Höhere Mathematik für Mobilität in ländlichen Regionen: Das Zeichen „+” macht den Linienbus zum „Plusbus”. Der fährt nicht nur sporadisch, sondern im leicht merkbaren Taktfahrplan sieben Tage die Woche, und er bietet gute Anschlüsse von und zum Schienennahverkehr. 70 Linien bundesweit zeugen vom neuen Ansatz für einen attraktiven ÖPNV auch dort, wo nur wenige Menschen leben.
Die Startphase war die Zeit der Skeptiker: Drei, vielleicht fünf Prozent mehr Fahrgäste – das war die bescheidene Erwartungshaltung, als die Verkehrsgesellschaft Bad Belzig, heute Teil der Regiobus Potsdam Mittelmark GmbH, im Dezember 2014 Plusbus-Linien im Hohen Fläming südlich von Potsdam und der Stadt Brandenburg einzurichten begann. Es waren die ersten im Land Brandenburg: Zwischen der kleinen Kreisstadt Bad Belzig und den beiden Städten verkehren die Linien 580 und 581 seitdem vom frühen Morgen bis in den Abend werktags im Stundentakt. Ein – etwas dünneres – Angebot gibt es auch am Wochenende. Zuvor hatte in der stillen Region eigentlich nur noch, wie so häufig, der Schülerverkehr den Fahrplan diktiert – und in den Schulferien fuhr gar kein Bus mehr.
Die Skeptiker sollten nicht bestätigt werden. Schon im Jahr 2015 erzielten die Plusbusse zweistellige, teils üppig an die 50 Prozent heranreichende Zuwächse bei den Fahrgästen. Und im Jahr 2016 brachte das Produkt erstmals ein dickes Plus auch in der Bilanz – ein Ergebnis von über einer Million Euro. Das freute nicht nur Geschäftsführer Hans-Jürgen Hennig, der alsbald in der Region den Beinamen „Mr. Plusbus” verliehen bekam: „Unser Aufgabenträger, der Landkreis Potsdam-Mittelmark, war bereit, für Plusbus zehn Prozent mehr Zuschuss zu zahlen. Nun haben wir das Geld gar nicht gebraucht.”
Dafür hatte Hennig mit seiner Mannschaft auch ordentlich getrommelt: Vor dem Start wurden die Bürger intensiv befragt, wie sie sich ein optimales Busangebot vorstellten. Und zur Premiere wurde jeder Haushalt in den Dörfern und Städten entlang der Linienwege per Postwurf-Sendung über den neuen Nahverkehr informiert: „Nicht platte Werbung, sondern runde Information mit Fahrplänen, Preisen und allem Drum und Dran.” Zu Letzterem zählt die Ausstattung der Busflotte mit WLAN: Unterwegs surfen die Fahrgäste, an den Endhaltestellen dann die Fahrer. Mobile Werbung gibt es in eigener Sache. Eine Mediengestalterin hat eine bunte, stilisierte Landschaft entworfen, die nun als großflächiges Markenzeichen auf die Fahrzeuge geklebt wird. Hans-Jürgen Hennig: „Wir werben für unser Produkt, für unseren Auftritt in der Region. Das ist uns mehr wert als ein paar Euro aus Werbeeinnahmen.”
Der Taktfahrplan lockt verstärkt viele Pendler an, beispielsweise jene, die von Potsdam, Brandenburg oder Bad Belzig mit dem Regionalexpress zur Arbeit fahren und bislang für die Anreise zum Bahnhof nur das eigene Auto kannten. „Mit dem Stundentakt und den Abfahrten bis in den Abend hinein bieten wir nun Alternativen”, sagt „Mr. Plusbus“. Die letzten Busse fahren derzeit gegen 20 Uhr vor den Bahnhöfen ab zurück in den Landkreis – und das mit einer Garantie: Wenn der Zug Verspätung hat, ist der Bus nicht weg, auch wenn er – was schon vorgekommen ist – mal 30, 40 Minuten warten muss.
Lob von der Ministerin
Den ersten Plusbus-Linien sind inzwischen nicht nur im Hohen Fläming weitere gefolgt. Der Erfolg macht Hans-Jürgen Hennig mutig: „Wir möchten den ÖPNV auf der Straße zu einem System mit Anschlüssen und Umsteigeverbindungen verknüpfen, das den Mobilitätsanforderungen von Jung und Alt bestens genügt.” Volles Lob auch von Kathrin Schneider, Brandenburgs Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung: Das Plusbus-Konzept sei „ein guter Baustein, der sich zu einer stabilen Säule des öffentlichen Nahverkehrs in Brandenburg entwickeln kann. Gut verknüpfte Fahrpläne von Bussen und Bahnen bringen steigende Fahrgastzahlen und weniger Individualverkehr. Das ist das, was wir erreichen wollen.”
Pluspunkte sammelt der Plusbus auch bei den Verkehrsunternehmen. Susanne Henckel, Chefin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB), beobachtet das mit Freude. Aus ihrer Sicht geht es darum, „die hohe Qualität der Schiene in die Regionen zu tragen”. Von über 700 Buslinien im Bundesland Brandenburg erfüllen zwar gerade 17 die Markenkriterien des Plusbus, „doch bei diesen Linien verzeichnen wir Jahr für Jahr Fahrgastzuwächse. Das ist nicht nur eine Erfolgsstory, sondern mit steigenden Ticketeinnahmen wächst auch ständig der Anteil der Nutzerfinanzierung an diesem Angebot.”
Während sich die VBB-Geschäftsführerin eine Verdoppelung der Plusbus-Linien im Lande innerhalb der nächsten zwei Jahre vorstellen kann, sieht sie naturgemäß auch das Finanzierungsthema: „Nicht alle Landkreise als Aufgabenträger für den Busverkehr können sich die Angebotsausweitungen für den Plusbus leisten, und auch etliche Kollegen in den Verkehrsunternehmen sind da eher in einer Wartehaltung.” Um den ÖPNV in der Fläche zu fördern, hat das Land Brandenburg eine Verwaltungsvorschrift erlassen – die „VVPlusbus”. Den Betreibern winkt ein Zuschuss von 40 Cent pro Bus-Kilometer, wenn die Kriterien der regelmäßigen „taktvollen” Bedienung erfüllt sind. Darüber wacht auch der VBB, der letztlich über die Aufnahme in die Plusbus-Marke entscheidet und die Nutzung des Logos mit dem Plus-Zeichen auf den Fahrzeugen und an den Haltestellen erlaubt. Und der dann auch dafür sorgt, dass bei der Einnahmeaufteilung im Verbund „etwas ankommt” bei den Busunternehmen.
Neue Qualität im ÖPNV
In mehreren Bundesländern entstehen immer neue Plusbus-Linien. Der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) hat die Marke im Dezember 2013 gegründet. Parallel zum Start der S-Bahn Mitteldeutschland wurden 26 vertaktete und mit dem Schienenverkehr verzahnte Buslinien eingeführt – ein neues Qualitätsniveau des ÖPNV in Westsachsen, im Süden Sachsen-Anhalts und in Ostthüringen. Mitentscheidend dafür war auch hier eine Umfrage bei einigen Tausend Haushalten. Sie brachte die klare Erkenntnis: Für ein attraktives Linienbus-Angebot gibt es eine gute Nachfrage. Tatsächlich: Der MDV registriert mit dem Plusbus ein Fahrgastplus von 18 Prozent. Zum Fünf-Jahres-Jubiläum im vergangenen Dezember gab es schon 36 Linien, und neue Pläne gibt es reichlich. „Ich freue mich, dass das Plusbus-Konzept im MDV-Raum von Erfolg gekrönt ist und sich immer mehr Verkehrsgesellschaften zur Einführung des Systems entschließen”, erklärte Steffen Lehmann, Geschäftsführer des MDV, zur Fünf-Jahres-Bilanz. Seine Vision: ein Plusbus-Netz für ganz Sachsen und, wie das heute so schön heißt: „zeitnah realisiert”.
Naturgemäß lag das Augenmerk zunächst darauf, den Netzen innerhalb der Verbünde neue Attraktivität zu verschaffen. Doch mittlerweile denken die
Planer über Verbund- und Landesgrenzen hinweg. Aktuelles Beispiel: Die Buslinie 800, die Cottbus im südlichen Brandenburg über Spremberg mit dem sächsischen Hoyerswerda verbindet. Seit Jahresbeginn wird sie unter der Marke Plusbus, gefahren von DB Regio Bus Ost – werktags im Stundentakt, am Wochenende alle zwei Stunden. Das bedeutet 3.500 zusätzliche Buskilometer pro Jahr auf rund 50 Kilometern Linie zwischen dem Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) und dem VBB.